DURCHSCHNITTSABITUR

Ab dem 12.5.2020 werden in NRW die Abiturprüfungen geschrieben. Diese, die Zentralen Prüfungen in der zehnten Klasse (ZP10), sowie der vorbereitende Unterricht für beide, welcher seit dem 23.4.2020 wieder aufgenommen wurde, unterliegen besonderen Maßnahmen, die dafür sorgen sollen, dass ein ausreichender Infektionsschutz gegeben sei. Notwendig seien diese Prüfungen, um die Vergleichbarkeit der Abschlüsse aufrecht zu erhalten und um sicherzustellen, dass sie weiterhin allgemein anerkannt werden.
Außerdem gibt es einige Schüler*innen die ihren Leistungsschwerpunkt im schriftlichen Bereich haben und auf einen bestimmten Studiengang hinarbeiten. Sie setzen in vielen Fällen darauf, dass sie mit den Abiturprüfungen einen bestimmten NC erfüllen können, um nach dem Abitur ihr Wunschstudium antreten zu können.
Insbesondere diese Schüler*innen sind sicherlich erleichtert, einen konkreten Zeitplan für ihre Abschlussprüfungen vorliegen zu haben. Dennoch ist es zweifelhaft, ob “normale” Abiturprüfungen im Sinne der Gesellschaft tatsächlich sinnvoll sind.

Argumentiert man aus Sicht des Infektionsschutzes, so müsste man zu dem Schluss kommen, dass es besser wäre, wenn die Schüler*innen zu Hause blieben, als dass sie zum Unterricht erscheinen müssen. Da ein Infektionsrisiko von Seiten der Schulen aus so gänzlich ausgeschlossen werden könnte.

Zudem kann man nicht davon ausgehen, dass die Schulen über ausreichend räumliche Kapazitäten / Lehrkräfte und sanitäre Ausstattung verfügen, da dies von Schule zu Schule unterschiedlich ist.

Es ist nicht rational zu behaupten, dass man die Sanitäranlagen, die teilweise schon vor der Corona-Pandemie marode waren, nun während einer solchen Pandemie so herrichtet, dass von ihnen kein zusätzliches Infektionsrisiko ausgeht.

Es ist weder möglich, noch von der Landesregierung gesichert, dass Schüler*innen Schutzausrüstung (z.B. Mundschutzmasken) erwerben können, die Sie aufgrund dessen benötigen, dass Sie selber einer sogenannten Risikogruppe angehören oder ihre Angehörigen aus näherem Umfeld.

Man stellt also nicht nur den Schutz der Schüler*innen, die einer Risikogruppe angehören nicht sicher, nein man setzt diese sogar wissentlich einem Infektionsrisiko durch das Schreiben der Abiturprüfungen aus.

Dies kann nicht vom Schulministerium in Kauf genommen werden, da es auch dessen Aufgabe sein müsste den Schutz für die Schüler*innen und deren Angehörigen zu sichern, wenn diese schon in dieser außergewöhnlichen Krise dazu gezwungen werden eine solche Prüfung am Ende des Abiturs abzulegen.

Und sollte man nicht den Schüler*innen überlassen ob sie sich und ihre Angehörigen in eine solche Gefahr begeben?

Darf man von behördlicher Seite aus die Schüler*innen in letzter Konsequenz dazu zwingen sich für die Prüfungen und gegen den eigenen Schutz der Gesundheit und die seiner eigenen Familie zu entscheiden?

Wieso gibt es nicht die Möglichkeit sich als Schüler*in gegen die Abiturprüfungen zu entscheiden, weil man selbst, oder Angehörige einer Risikogruppe angehören, zum Beispiel durch das Wahrnehmen eines Nachschreibtermins oder aus unserer Sicht die einzig richtige Variante nämlich die des zu Wahl stellens, ob man regulär eine Abiturprüfung ablegt, oder ob man ein Durschnittsabitur erhält?

Und wie steht es eigentlich um die Lehrer?

Lehrer*innen, die aufgrund ihres Alters einer Risikogruppe angehören dürfen nicht im Unterricht eingesetzt werden, Schüler*innen müssen selbst entscheiden ob sie lieber gut auf die Abiturprüfungen vorbereitet werden und ihr Recht auf Bildung wahrnehmen oder lieber ihre Gesundheit und die anderer schützen wollen. 

Wie kann man aus Seiten der Politik Ihnen diese Entscheidung zumuten und wieso gibt es keine Sonderregelung in wie weit mit solchen Schüler*innen verfahren wird, die einer Risikogruppe angehören? 

Ist das nicht ein Widerspruch, dass man Lehrer*innen schützt aber besonders gefährdete Schüler*innen nicht?

Die ZP10 werden dieses Jahr nicht zentral geschrieben, da die Vorbereitung sehr ungleich weit fortgeschritten sei. Stattdessen stellen die unterrichtenden Lehrkräfte die Klausuren.
Dies stellt uns jedoch vor zweierlei Fragen.
Zum einen die nach dem Grund, diese Prüfungen dann überhaupt noch durchzuführen und die betroffenen Schüler*innen bereits vor dem 4.5. wieder in die Schule zu schicken. Die Vergleichbarkeit, die durch die ZP10 normalerweise gegeben werden soll, liegt ja ohne die zentral gestellten Prüfungen nicht mehr vor. Die Schüler*innen schreiben also einfach nur eine weitere Klausur, deren Themenumfang vielleicht etwas größer ist als sonst, und werden dabei einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Dies erscheint uns reichlich unverhältnismäßig.
Außerdem stellt sich die Frage, weshalb die Landesregierung einsieht, dass die Vorbereitung auf die ZP10 nicht ausreicht, um die normalerweise geplante Klausur zu absolvieren, die Abiturprüfungen aber nicht von diesem Prozess erfasst werden. Sicherlich sind die Schüler*innen ein paar Jahre älter und ein wenig selbstständiger, allerdings werden sie von den Problemen, die durch Covid-19 entstehen, ebenso stark getroffen.

Denn auch hier liegt die Vergleichbarkeit der Abschlüsse nicht mehr vor. Ohne Zweifel müssen die diesjährigen Abiturient*innen mit ganz anderen Rahmenbedingungen, was Vorbereitung, Durchführung und Stressbewältigung angeht, klar kommen, als es den vorigen Jahrgängen abverlangt wurde.
Aber auch innerhalb dieser einen Stufe ist eine bundesweit einheitliche Lösung, wie sie von allen hochgehalten wird, nur teilweise sinnvoll. In Deutschland ist Bildung Ländersache und so wird auch das Abitur überall anders durchgeführt. Warum muss dann jetzt in dieser, für alle extrem schwierigen Situation, auf einmal eine einheitliche Lösung her, wenn die Abschlüsse doch sowieso nur begrenzt vergleichbar sind? Vor allem aber befinden sich die Abiturient*innen in den verschiedenen Ländern in komplett verschiedenen Situationen. Beispielsweise in Hessen haben die Prüfungen bereits am 19.3. begonnen, nicht einmal eine Woche nach den Schulschließungen. So wurden die Schüler*innen in ihrer Vorbereitung auf das Abitur kaum eingeschränkt und konnten ihre Prüfungen, zwar unter besonderen Hygienemaßnahmen, aber sonst verhältnismäßig normalen Bedingungen absolvieren. In NRW hatten die Abiturient*innen drei Wochen weniger Unterricht, in denen zum Teil sogar noch Vorabiturklausuren geschrieben worden wären, auf die man sich in dieser Zeit, die andere direkt für das Lernen für das Abitur nutzen konnten, auch nochmal vorbereiten muss.
Der entfallene Unterricht könnte zwar theoretisch mit Hilfe digitaler Möglichkeiten ersetzt werden, allerdings findet dies  nur sehr lehrkraftabhängig statt. Einige betreiben nahezu vollwertigen Unterricht über Videochatprogramme, weitere schicken Materialien und Aufgaben per E-Mail und von wieder anderen bekommt man höchstens einmal frohe Osterwünsche. Dies wird noch dadurch bestärkt, dass auch bei den Schüler*innen ganz unterschiedliche Situationen vorliegen. Das betrifft den gesundheitlichen Zustand, sowohl körperlich, als auch mental, die digitale Ausstattung, die den einzigen Weg darstellt, von der Schule gestellte Lernangebote wahrzunehmen, aber auch das räumliche Umfeld. Viele Abiturient*innen betreuen in dieser Zeit beispielsweise kleine Geschwister, da auch die zu Hause, die Eltern aber weiterhin arbeiten sind. Dabei, aber auch, wenn man sich sonst nicht räumlich und akustisch abtrennen kann, ist ein produktives Lernen deutlich erschwert bis kaum möglich.
Auch der Unterricht seit dem 23.4. ist nicht mit dem Normalfall vergleichbar. Einige Lehrkräfte gehören selbst Risikogruppen an, weshalb sie in dieser Zeit nicht unterrichten. Dadurch und durch die Reduzierung der Gruppengrößen werden einige Schüler*innen von Lehrkräften unterrichtet werden, die sie noch nie vorher hatten. So kann nicht auf individuelle Stärken und Schwächen von Einzelpersonen eingegangen werden. So kann lediglich ein sehr oberflächlicher Unterricht stattfinden, der persönliche Bedürfnisse, sowie den vorausgegangenen Unterricht kaum berücksichtigen wird.

Deshalb unterstützen wir die Forderung der LSV NRW, die Abiturprüfungen auf einer freiwilligen Basis durchzuführen. Aus unserer Sicht darf man die Gesundheit der Schüler*innen und ihrer Familien in keinem Fall unter eine scheinbare “Notwendigkeit” von Abschlussprüfungen stellen. Deren Hauptziel, einen fairen, vergleichbaren Schulabschluss sicherzustellen, wird zurzeit weniger erfüllt denn je, stattdessen sogar noch stärker verhindert.
Trotzdem würden einige Schüler*innen sehr unter einer allgemeinen Absage der Klausuren leiden, weshalb es die beste Lösung wäre, sie selbst vor die Wahl zu stellen und nach Bewältigung der Corona-Pandemie die Vorbereitungen für eine umfassende Reform unseres, etwas in die Jahre gekommenes, Schulsystems zu beginnen.

Allerdings muss natürlich eine allgemeine Anerkennung des Schulabschlusses in jedem Fall garantiert werden.

In einer Zeit, in der sich Wissen, Regelungen und Maßnahmen sehr schnell ändern, können einige Inhalte schnell an Gültigkeit verlieren. Alle Angaben und Informationen beziehen sich auf den Stand vom 8.5.2020.

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